Die WeChat-App – Die Chinesische Wunder-App mit einem Haken
Facebook, Netflix, Instagram, WhatsApp, Spotify, YouTube, Pinterest, Xing, Twitter – Das ist nur eine kleine Aufzählung von sozialen Netzwerken, die jeder von uns kennt und beinahe täglich verwendet.
Weltweit nutzen etwa 3,58 Milliarden Menschen soziale Medien, um sich miteinander auszutauschen, sich zu informieren, oder sich zu unterhalten. Facebook und seine Tochterunternehmen Instagram und WhatsApp decken dabei den größten Teil ab. Zum dritten Quartal 2018 kann das von Mark Zuckerberg gegründete Unternehmen weltweit ca. 2,3 Milliarden aktive Nutzer verzeichnen und führt die Spitze der am meisten aktiv genutzten sozialen Netzwerke an. Im Vergleich: YouTube hat weltweit 1,6 Milliarden und WhatsApp 1,5 Milliarden aktive Nutzer.
Dieser Trend ist auf der ganzen Welt zu beobachten – mit Ausnahme von China. In China wird vor allem ein einziger sozialer Dienst verwendet: WeChat.
WeChat besitzt im asiatischen Raum eine vergleichbare, wenn nicht sogar mächtigere Stellung als Facebook im Rest der Welt. Bedingt ist dies auch dadurch, dass Facebook, Twitter und Co. in China unter Zensur stehen und WeChat somit ohne Konkurrenz dasteht.
Zum 3. Quartal 2018 verzeichnet das Soziale Netzwerk fast 1,1 Milliarden monatliche aktive Nutzer.
Die Erfolgsgeschichte von WeChat
WeChat (was übersetzt „winzige Nachricht“ bedeutet) ging im Januar 2011 an den Start und wird vom chinesischen Internetriesen Tencent betrieben. Der Messenger, der sehr stark dem damals populären ICQ und dem heutigen WhatsApp ähnelt, war zunächst nur für den asiatischen Raum konzipiert. Der Durchbruch gelang allerdings erst mit der Einführung der Sprachnachricht. Die Entwickler bauten eine bequeme Alternative für die mühselige Eingabe der chinesischen Schriftzeichen, wodurch das soziale Netzwerk schnell an Popularität gewann und bis 2015 von ca. 76% der chinesischen Bevölkerung genutzt wurde. Ursprünglich gab es WeChat nur auf Chinesisch. Mittlerweile unterstützt der Nachrichtendienst die gängigsten Sprachen.
Apps und Mini-Apps – Was WeChat von anderen Messenger-Diensten unterscheidet
Ein weiterer Grund für die große Beliebtheit des Sozialen Netzwerkes ist die riesige Auswahl an Mini-Programmen, welche innerhalb der WeChat-App angeboten werden.
Zur Erklärung: in der westlichen Welt ist das Prinzip der Native-App geläufiger. Sei es Bank, Verkehr oder Zeitung, die meisten Dienstleister bringen ihre eigenen Anwendungen für mobile Endgeräte heraus, die sich dann auf wenige Funktionen beschränken. So ist es für uns normal, dass sich eine Fülle von unterschiedlichen Apps für verschiedene Bedürfnisse auf unseren Smartphones ansammelt.
Anders ist das bei WeChat: hier fungiert die App selbst als Native-App mit einer Vielzahl von Funktionen. Zusätzlich können dann Funktionen von externen Dienstleistern hinzugefügt und eingebettet werden. Dies hat für die Nutzer zum einen den Vorteil, dass man nicht mehr zwischen Apps hin und her wechseln muss. Zum andern spart man sich dadurch einiges an Speicherplatz und muss einzelne Anwendung nicht mehr selbstständig herunterladen und installieren.
Die beliebtesten Funktionen von WeChat
Die Vielseitigkeit der Anwendungsbereiche scheint grenzenlos. Zum einen bietet WeChat unzählige alltagstaugliche Funktionen: Telefonieren, (Sprach-)Nachrichten versenden, Bilder posten, ein Fahrrad mieten, Reisen buchen, ein Kinoticket kaufen, einen Tisch im Lieblingsrestaurant reservieren, nach den neusten Angeboten schauen, einen Arzttermin vereinbaren und vieles mehr.
Zum anderen bietet WeChat Dienstleistern aber auch die Möglichkeit durch Mini-Programme Kundenloyalität oder Kundenbindung zu stärken. Es ist sogar möglich, mithilfe geeigneter Programme einen eigenen Wartungs- oder Kundendienst innerhalb von WeChat anzubieten.
Kurz gesagt bietet WeChat eine Lösung für fast jedes Problem in fast jedem Lebensbereich.
Bezahlen
Zu den wohl mächtigsten Funktionen von WeChat gehört die integrierte Bezahlmethode. Wer einem Freund Geld geben will aber kein Bargeld bei sich hat, oder wer seine Online-Rechnung bezahlen muss, würde hierzulande auf Dienste wie PayPal oder Klarna zurückgreifen.
WeChat bietet die Möglichkeit, seinen Account direkt mit seinem Bankkonto zu verknüpfen und ermöglicht damit das schnelle und einfache Bezahlen. Auch beim täglichen Einkauf kann diese Zahlungsmethode verwendet werden. Wer in China zum Beispiel einen Kaffee am Kiosk seines Vertrauens kaufen möchte, braucht dazu lediglich den vorgesehenen QR-Code einzuscannen und die Bezahlung zu bestätigen. Dies gilt natürlich auch für Restaurants. In manchen kann sogar das Essen am Tisch über einen QR-Code bestellt und bezahlt werden.
WeChat sorgte mit der Einführung von Bezahlung per Smartphone dafür, dass immer weniger Menschen zum Bargeld greifen.
Ein Taxi rufen
Ein weiteres nützliches Mini-Programm ist der Taxi-Finder. Diese Funktion ermöglicht es, den Standort des am nächsten gelegenen Taxis ausfindig zu machen und über WeChat zu kontaktieren. Sobald das Fahrzeug an dem vereinbarten Ort angekommen ist, wird man über den Messenger benachrichtigt.
Freunde finden
Ist man neu in der Stadt und möchte Leute kennenlernen, so gibt es auch hierfür eine Lösung. Öffnet man die entsprechende Funktion, muss man nur noch eine Schüttel-Geste mit seinem Handy ausführen. Hat eine andere Person, die sich in der Nähe befindet, ebenfalls im gleichen Moment diese Bewegung ausgeführt, so werden diese beiden Personen über die App einander vorgestellt und können in Kontakt treten.
Shopping, Angebote und Werbung
Auch beim Shoppen bietet WeChat Hilfestellung: Beim Kauf einer neuen Hose kann man über den eingescannten QR-Code erfahren, ob es in einem Onlineshop oder einem anderen Laden das gleiche Produkt zu einem günstigeren Preis gibt. Ist dies der Fall, wird man von WeChat auf die jeweilige Internetseite geleitet oder die App öffnet ein Navigationssystem und führt den Kunden auf dem schnellsten Weg zu dem entsprechenden Laden.
Selbst das Zurücklegen eines Kleidungsstücks ist über die App möglich und kann ganz bequem von Zuhause gemacht werden.
Der Nachteil von WeChat: Datenschutz ist nicht-existent
Aus den oben genannten Beispielen wird deutlich, dass WeChat einen unglaublichen Mehrwert für seine Nutzer bietet und es aus nachvollziehbaren Gründen so beliebt ist. Allerdings hat die Benutzung von WeChat auch einen großen Haken: den Datenschutz.
Im Jahr 2016 erstellte Amnesty International diesbezüglich ein Ranking , bei dem die Anbieter der beliebtesten Messenger in Bezug auf Datenschutz bewertet wurden. Der chinesische Dienst lag hierbei auf dem letzten Platz - mit 0 von 100 möglichen Punkten. Facebook sicherte sich 2016 den ersten Platz mit 73 von 100 Punkten. Es ist kein Geheimnis, dass Tencent mit der chinesischen Regierung zusammenarbeitet und die personenbezogenen Daten seiner Nutzer übermittelt.
In den aktuellen Datenschutzrichtlinien heißt es:
Wir teilen Ihre Daten mit ausgewählten Empfängern, die über die rechtliche Grundlage und Zuständigkeit für die Anforderung solcher Daten verfügen. Zu diesen Kategorien Empfängern gehören: Regierungsbehörden, öffentliche Behörden, Aufsichtsbehörden, Gerichte und Gesetzesvollzugsbehörden […] wir teilen ihre personenbezogenen Daten in unserer Konzerngruppe […].
Der Grund für die Erhebung sei: um „WeChat bereitzustellen, […] und die Funktionen der WeChat Open Plattform nutzen zu können.“ Aufgrund der Art und Weise wie WeChat funktioniert, werden Massen an personenbezogenen Daten über das Nutzerverhalten gespeichert und weitergegeben.
In einem Land wie China, in dem alle konkurrierenden Messenger-Dienste verboten sind, bleibt den Bürgern keine andere Wahl, als den Datenschutzbestimmungen zuzustimmen. Ein Verzicht auf WeChat würde für den Einzelnen große soziale Nachteile mit sich bringen.
WeChat verändert das Konsumverhalten einer gesamten Gesellschaft
Was lange Zeit nur als billiger Abklatsch von Facebook und WhatsApp belächelt wurde, ist heute das vielleicht erfolgreichste und revolutionärste soziale Netzwerk. Die App aus dem Hause Tencent ist nicht nur eine Anwendung um sich mit Freunden auszutauschen oder seine Urlaubsbilder zu teilen. WeChat verändert das Konsumverhalten einer gesamten Gesellschaft. Vom bargeldlosen Bezahlen hin zum Kennenlernen via Schüttel-Funktion.
WeChat ist omnipräsent und verbindet die die analoge Welt mit der digitalen. Die Vielseitigkeit der Funktionen, von denen sich die Konkurrenz mit Sicherheit inspirieren lassen sollte, machen das chinesische soziale Netzwerk so attraktiv.
In Sachen Datenschutz sollte man dennoch lieber vernünftig sein und die Finger von WeChat lassen. Der Schutz privater Daten hat oberste Priorität sein. Denn selbst wenn Sie nichts zu verbergen haben, sollten Sie stets derjenige sein, der die volle Kontrolle über seine Daten hat. Sie sollten selbst entscheiden mit wem, wann und ob Sie Ihre Daten teilen möchten.